„Forget Memory – Try Imagination“
ZISCHUP-INTERVIEW mit Jeanette Wäldin über TimeSlips
Alzheimer betrifft heute viele ältere Menschen, dennoch haben diese nicht alles vergessen und ihre Kreativität nicht verloren. TimeSlips regt Menschen mit Alzheimer und Demenz dazu an, ihr Wissen und ihre Fantasie zu benutzen und zum Ausdruck zu bringen. Tabea Reimann, Schülerin der Klasse 9a des Georg-Büchner-Gymnasiums Rheinfelden, befragte Jeanette Wäldin, welche sich mit dieser Methode beschäftigt.
Zischup: Was genau ist TimeSlips?
Jeanette Wäldin: Die Methode TimeSlips stammt aus den USA und wurde von Prof. Anne Basting Ende der 1990er Jahre entwickelt. Unter dem Motto „Forget Memory – Try Imagination” möchte TimeSlips die Fähigkeiten und Stärken von Menschen mit Demenz nutzen. Es geht nicht darum, Wissen abzufragen, sondern die Fantasie anzuregen. Alle Beteiligten tragen mit ihren individuellen Fähigkeiten zu einer gemeinsamen Geschichte bei.
Zischup: Wie sind Sie dazu gekommen?
Wäldin: Ich habe mich beruflich viel mit Sprachförderung von Kindern und Sprachheilpädagogik - einschließlich gebärdenunterstützter Kommunikation - beschäftigt. Das Thema Sprache interessiert mich sehr und nachdem meine Schwiegermutter an Alzheimer-Demenz erkrankt war, wollte ich mehr darüber erfahren, wie auch Menschen mit Demenz eine Möglichkeit erhalten können, sich mitzuteilen, wenn ihre Erinnerung zunehmend nachlässt. In einem Fachbuch aus den USA über Demenz entdeckte ich die Methode TimeSlips und belegte eine Online-Qualifikation.
Zischup: Welche Wirkung hat TimeSlips auf die Menschen mit Demenz?
Wäldin: Dieses Zitat einer Teilnehmerin der Geschichtenwerkstatt spiegelt die Wirkung sehr gut wider:
„Da muss ich 92 Jahre alt werden, um so etwas erleben zu dürfen. Mit über 90 denkt man ja nicht mehr, dass da noch was kommt.”
Durch eine freundlich-zugewandte und wertschätzende Gesprächsatmosphäre machen die Teilnehmer voller Freude, aber auch selbstbestimmt mit.
Zischup: Wie gehen Sie bei einer neuen Geschichte vor?
Wäldin: Zunächst geht es darum, ein Foto auszuwählen, das aufgrund seiner Mehrdeutigkeit einen Prozess des genauen Betrachtens in Gang setzt und somit die Fantasie der Teilnehmer anregt und herausfordert. Jeder Teilnehmer erhält ein Foto in Din A4 und anschließend werden offene Fragen dazu gestellt: „Was denken Sie, ist hier los?”, „Wer könnte das sein?”, „Wie, wann oder wo geschah es?”, „Was gefällt Ihnen am besten auf diesem Bild? Warum?”.
Jede Antwort ist hier richtig und wird auf einem Flipchart notiert. Meist sprechen wir eine ganze Stunde über das Foto. Dann wird gemeinsam ein Titel festgelegt. Wir applaudieren und beglückwünschen uns zu dieser Leistung. Anschließend wird alles Gesagte zu einer Geschichte zusammengefasst und beim nächsten Treffen vorgelesen.
Zischup: Was wollen Sie mit TimeSlips erreichen?
Wäldin: Die Teilnehmer bekommen eine neue soziale Rolle, denn sie sind jetzt Geschichtenerzähler. Die Geschichten machen sie stolz und zufrieden, da sie etwas Außergewöhnliches geschaffen haben.
Ich arbeite ehrenamtlich in einer Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz und begann dort mit der „Geschichtenwerkstatt”. Mittlerweile sind weit über 30 Geschichten entstanden. Um auch die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen, gestalteten wir eine 5-wöchige Ausstellung in einem Buchladen, eingebunden in das Thema Demenz. Überall waren die Menschen davon beeindruckt und begeistert. Die Präsentation der Ergebnisse soll zeigen, was trotz oder gerade wegen Demenz möglich ist!
Mehr Informationen unter:
www.sprachspielwiese.de/geschichtenwerkstatt
Tabea Reimann, Klasse 9a, Georg-Büchner-Gymnasium Rheinfelden